Zigarette

Der Rauch in deinen Augen

Von Peter Hartmann

Humphrey Bogart ohne Kippe? Ein Swissair-Flug, ohne zu rauchen? Sex ohne Zigarette danach? Es gab eine Zeit, da war Rauchen noch ein Vergnügen und ein Lebensgefühl. Ein wehmütiger Nachruf auf das Jahrhundert der Zigarette von einem, der seit 52 Jahren qualmt. «Die Zigarette ist der perfekte Genuss: Sie stimuliert, aber sie befriedigt nicht» (Oscar Wilde). Den Rauchgeruch eines ungelüfteten Zimmers oder Kleidungsstücks vergisst man, aber nicht das Parfüm einer Zigarette am Ende einer Sommernacht, nicht die Zigarette danach, die Zigarette davor, den unwiderruflich letzten Zug vor dem Entzug und den ersten Zug des Rückfalls, immer wieder. Die entspannenden Züge zum Bier. Auf dem Arbeitsweg im vollen Raucherabteil der SBB. Die Zigarette in der Swissair-Maschine angesichts der Freiheitsstatue, beim Abflug nach dem ersten Aufenthalt in New York. Der glühende Punkt einer seelenwärmenden Gauloises im Winternebel. Die geheimnisvoll nach Orient riechende, in Silberpapier gewickelte elegantovale Laurens, die der Vater aus der flachen, aufklappbaren Schachtel dem Besuch anbot. Der rauchende Sportjournalist Walter Lutz, der die Asche seiner Turmac in die Tasten und auf das Farbband der Schreibmaschine regnen liess, wenn er im Stadion unter höchstem Abgabedruck seine Kommentare tippte, während das Spiel noch lief. Der schnelle Nikotinbrüter Jürg Ramspeck, der auf den Gängen der Weltwoche-Redaktion die Rauchschwaden seiner Gauloise in pure kreative Energie verwandelte. Heute versagen sie in amerikanischen Todeszellen dem Häftling die letzte Zigarette vor der Hinrichtung. Rauchen schadet der Gesundheit. Schon 1950 wies eine Studie in den USA den Zusammenhang von Rauchen und Lungenkrebs nach: 96 Prozent der untersuchten Lungenkrebstoten hatten zwanzig Jahre oder länger geraucht. Doch erst der Terry-Report von 1964 alarmierte die Öffentlichkeit. Die Tabakkonzerne sprachen von einer wissenschaftlichen Kontroverse mit zwei gegenseitigen Standpunkten und setzten auf Leicht- und Filterzigaretten. Zu Beginn der neunziger Jahre zahlten die Hersteller Milliardensummen an Schadenersatz für ihre Verharmlosungsstrategie. In den USA sank die Raucherquote seit 1970 kontinuierlich von 50 auf 20 Prozent ab. In Kalifornien rauchen nur noch 8 Prozent der Jugendlichen unter 24, in der Schweiz sind es annähernd 40 Prozent. Der greise italienische Staatspräsident Sandro Pertini, ein vulkanischer Pfeifenraucher, witzelte: «Toleranz kann man von Rauchern lernen. Noch nie hat sich ein Raucher über Nichtraucher beschwert.» Pertini wurde 94 Jahre alt. Er hat auch die Toscani nicht verschmäht, das Kraut, dem die EU vom Jahre 2010 an ihre Produktionsbeiträge entzieht. Giacomo Puccini hat Toscani geraucht, auch George Sand, die Muse Chopins. In Italien gilt inzwischen Rauchverbot. Ausgerechnet die anarchischen Italiener, die sich an kein Gesetz halten. Das Tessin hat nachgezogen, klaglos, andere Kantone folgen, auch Zürich wird nicht mehr lange standhalten. Frankreich, Land der Gauloises und Gitanes, steht neu auf der Nichtraucherlandkarte. In Deutschland fallen die Bundesländer wie Dominosteine. Die Zigarette hat ihren Status als weiche Massendroge unwiederbringbar verloren. In Japan werden vom kommenden Juli an die Zigarettenautomaten kodiert, sie erkennen das Alter der Kunden, die einen Raucherpass mit Foto in den Schlitz schieben müssen. In der Innenstadt von Tokio ist das Rauchen auf den Strassen untersagt (dafür in manchen japanischen Grossraumbüros noch gestattet). Wer fragt noch arglos anbändelnd: «Haben Sie Feuer?» Wer setzt noch bedenkenlos eine dieser dünnen Tabakbomben in Brand, die Partikel von 4000 Substanzen freisetzen und den Fortbestand der Menschheit gefährden? Wer raucht noch lustvoll? Wer geht meilenweit für eine Camel? Wer behauptet noch, mal rasch am Kiosk ein Päkchen Zigaretten zu holen, auf dem in grossen Buchstaben steht: «Rauchen ist tödlich», um dann zu verschwinden, wie damals, als eine Stuyvesant den abenteuerlichen Duft der grossen, weiten Welt verhiess und nicht den Sarg? Noch eine Frage: Was ist schlimmer als rauchen? Für den Raucher: nicht mehr rauchen zu können. Die Verzichtsmelancholie, der fade Geschmack der Vernunft. Sieg der Doppelmoral Eine Gesellschaft von Rauchern ist gekippt in eine Gesellschaft von Nichtrauchern – ein fundamentaler Paradigmenwechsel, der sich in den letzten Jahren entscheidend beschleunigt hat mit gesetzlichen Rauchverboten in öffentlichen Räumen. Ein Sieg der Aufklärung, aber auch des schlechten Gewissens und der Doppelmoral. Man hört auf zu rauchen, um sich und ein bisschen die Umwelt zu retten, fährt aber weiterhin Auto und produziert Abgase für die Allgemeinheit. Die Hightech-Karawane der Formel 1 mit ihren modernen römischen Wagenrennen, die von den anrüchigen Werbegeldern der Zigarettenindustrie angetrieben wird, zieht weiter auf die Rennstrecken in den Ölländern und den Tigerstaaten Asiens, wo die Reklamerestriktionen noch nicht angekommen sind. In Russland, in China, Indien, Indonesien und in den bevölkerungsreichen Ländern Afrikas liegen die Verführungsmärkte der Zukunft. Es wird kaum weniger geraucht, nur anderswo. Der Tabakpflanze droht sicher nicht die Ausrottung, denn, ironischer Glücksfall der Natur: Sie ist gentechnisch leicht veränderbar und scheint hervorragend geeignet für die Herstellung von Medikamenten. Erprobt werden momentan Antikörper gegen Karies und ein Stoff gegen das HIV aus transgenetischem Tabak. Erinnerungen aus dem Poesiealbum des blauen Dunstes: Georges Simenon, zwischen den Zähnen die Tabakspfeife, das Inspirationskraftwerk seiner Maigret-Romane, die er jeweils in sieben Tagen und Nächten schrieb. (Und eine Anekdote aus dem Verbrecheralbum: die Fotos der dreizehn Mafiosi, die unachtsam ihre Zigarettenkippen wegwarfen, als sie den Staatsanwalt Falcone bei Palermo in die Luft sprengten. Überführt wurden sie aufgrund ihrer DNA-Spuren in den Zigarettenfiltern.) César Luis Menotti, «El Flaco», der Dünne, der kettenrauchende Philosoph des Angriffsfussballs aus Buenos Aires, auf dessen zerfurchtes Zigarettengesicht die Fernsehkameras immer wieder schwenkten. Carlo Ancelotti, sein unter Entzug leidender Kollege in Mailand, der auf einem Attrappenröllchen herumkaut, seit der Verhaltenskodex der Fussballverbände während des Spiels rauchende Trainer nicht mehr duldet. Die rotzige junge Madonna, bevor sie ins Gesundbeterinnenlager wechselte. Vera Kaa als Vamp-Imitation in der «Züri-Bar» mit Handschuhen und einem Zigarettenfilter, in dem eine Filterzigarette steckte. Nat King Cole, Sinatra, Johnny Cash, der junge Bob Dylan, Miles Davis, all die Musiker, bei denen die Gewissheit aufkam, die Abhängigkeit von der Zigarette maskiere anderen, härteren Stoff. Sartre und Simone de Beauvoir. Lauren Bacall und Bogart. Jeanne Moreau und Mastroianni. So naturecht neurotisch, gierig, suchtgesteuert, hemmungslos wie Jack Nicholson als pensionierter Detektiv im Thriller «Das Versprechen» hat sich noch nie ein Schauspieler an die Zigarette geklammert, und im wirklichen Leben ist es noch schlimmer. In seiner Berliner Hotelsuite hält Nicholson, der gerade die siebzig gefeiert hat, vier ausgebrannte Zigarettenstummel in der blossen Hand, und er weiss nicht, wohin damit. Kein Aschenbecher weit und breit, ein Kettenraucher wie er ist als Gast nicht vorgesehen, also wirft er die Kippen irgendwann entnervt auf den Teppich. Das ist nicht mehr Kino, keine gespielte Verzweiflung, keine Parodie auf einen dirty old man, der es nicht lassen kann, sondern die feindliche Schikane im Alltag, auch für einen in die Enge getriebenen Hollywood-Star, der, wie der Interviewer in der Süddeutschen Zeitung berichtet, sich in den Sarkasmus flüchtet: «Linkshänder sterben genauso früh wie Raucher, wussten Sie das? Das ist statistisch erwiesen.» Zu den letzten bekennenden Raucherfossilien, die mit Nachsicht und Respekt behandelt werden, gehören der deutsche Altkanzler Helmut Schmidt, 89, und Ehefrau Loki. Er brennt mit staatsmännischer Würde akkordmässig seine Reynos Menthol ab und wird daran bei Interviews selbst im Fernsehen nicht gehindert, sonst kommt er nicht. Die einzige Konzession, zu der er bereit ist: Wenn er nicht raucht, schnupft er, was aber noch unappetitlicher rüberkommt. Die Schmidts, die am Stock gehen, rauchen selbstverständlich auch im Theater, so auch bei einem Neujahrsanlass in der Komödie Winterhuder Fährhaus in Hamburg, wo sie Stammgäste sind, und handelten sich von fundamentalistischen Rauchbekämpfern eine Strafanzeige wegen Verstosses gegen das Nichtrauchergesetz und wegen Körperverletzung ein, auf die der Staatsanwalt allerdings nicht eintrat. Loki Schmidt reagierte stoisch: «Ich rauche, seit ich zehn bin. Da werde ich jetzt nicht mehr aufhören.» Auch Schmidts Vorgänger Willy Brandt, ein Zweifler und Melancholiker der Machtausübung, hat sich und seine Gesprächsrunden nächtelang eingenebelt. Ludwig Erhard befeuerte mit seinen Zigarren das Wirtschaftswunder. Ihr Nachfahre Schröder inszenierte sich als Brioni-und-Cohiba-Kanzler. Bill Clinton spielte mit Monica Lewinsky das Zigarrenspiel. Blauer Dunst galt als politisch korrekt Churchill hatte es als Zigarrenliebhaber zu einem eigenen Markennamen gebracht, im Greisenalter machte er sich über den heraufdämmernden Gesundheitswahn lustig. «No sports», beantwortete er die Frage nach dem Rezept für seine Langlebigkeit. Die Zigarre war ein Luxus-Exportartikel Havannas und zugleich eine Art kubanisches Revolutionssymbol, das besonders Che Guevara gut zu Gesicht stand. Fidel Castro verheimlichte lange, dass er bereits 1986 nach einer Herzattacke auf seine geliebten Puros verzichtet hatte. Bundesrat Kaspar Villiger war ursprünglich Stumpenfabrikant («Für unterwägs än Rio sächs»). Der blaue Dunst galt als politisch korrekt. Vielleicht hatte auch jener Eingeborene, der allein in seinem Boot vor einer Karibikinsel trieb und vom Entdecker Kolumbus in dessen Bordbuch am 15. Oktober 1492 erwähnt wurde, etwas von der kontemplativen Gelassenheit des Rauchers, als er den Spaniern Tabakblätter zum Geschenk anbot. Der Kundschafter Rodrigo de Jerez beschrieb, wie die Einheimischen den Rauch dieser Blätter aus einem Rohr «tranken», das am andern Ende brannte und das sie tobago nannten, daher wahrscheinlich die Bezeichnung Tabak. Kolumbus selber empfand den Duft als süss und beschrieb die Wirkung des Rauchens als heilsam. Als historischer Trendsetter gilt Jean Nicot de Villemain, der französische Botschafter in Lissabon, der 1560 seiner Königin Katharina de Medici Tabakproben schickte und für die Zahnreinigung und gegen Migräne empfahl. Er gab dem Nachtschattengewächs auch den wissenschaftlichen Namen Nicotiana tabacum. Tabak wurde als Königinnenkraut zum exklusiven Vergnügen der Aristokratie. Der Zigarette sind die Spanier 1518 erstmals auf der Halbinsel Yucatán in Mexiko begegnet. Die Indianerhäuptlinge weckten die Neugier der Eroberer, als sie ihnen fingerdünne Tabakstängel anboten, die mit Mais-Deckblättern umwickelt waren. (Der kontaktför-dern-de Effekt spielt heute noch: Wenn ich in der Fluchtbar meine Gitanes Maïs anstecke, werde ich fast immer angebettelt.) Schon im 17. Jahrhundert entwickelten sich die kubanischen Tabakplantagen zu Goldgruben. 1725 begannen in Sevilla die Arbeiterinnen (beschäftigt wurden ausschliesslich Frauen) in der Real Fábrica de Tabacos mit der Herstellung von Zigarren und Zigaretten, und weil für Zigaretten anfänglich die Schneidereste von Schnupftabak und Zigarren verwendet wurden, waren sie billig und wurden vom Volk geraucht. So begannen sie ihren Siegeszug vom anregenden, harmlosen proletarischen Genussmittel zum globalen Massenkonsumartikel. Nicht der Sozialismus hat im 20. Jahrhundert die Menschheit verbunden, sondern die klassenlose, ideologiefreie Zigarette, die auf Russisch sigareta heisst, auf Englisch und Französisch cigarette, auf Esperanto cigaredo und auf Finnisch rööki. Heute verläuft die letzte gesellschaftlich-moralische Trennmauer zwischen Nichtrauchern und Rauchern, zwischen Aufgeklärten und egoistischen Schädlingen, also zwischen Gut und Böse. Rauchen ist zur selbstzerstörerischen Charakterschwäche umgewertet worden, zu einer selbstverursachten Seuche, die auch unschuldige Passivraucher heimsucht. Raucher sind von allen Umweltkatastrophen die einzige, die noch mit Verboten gestoppt werden kann. Sie werden ausgegrenzt wie Parias. Als erbärmliche, unverbesserliche Selbsthilfegruppen widerstehen Nikotinabhängige bei Wind und Wetter der allgemeinen Zurschaustellung und Verachtung vor Bürogebäuden und Restauranttüren. Die Zigarette wird zur Strassendroge, und wegen der prohibitiv verteuerten Preise ist sie längst auch wieder eine lukrative Schmuggelware geworden. Die wahren Kulttempel der Zigarette waren immer die Kinos, auch wenn in der Schweiz aus feuerpolizeilichen Gründen nur im Foyer geraucht werden durfte. Die Leinwandhelden qualmten wie die Schlote. Was wäre «Casablanca» ohne den Charakterraucher Bogart, ohne sein rituelles Inhalieren gegen den Weltschmerz? Rauchen als dramaturgisches Element zur Dehnung von Zeit und Spannung. Gefühlsseismografische Rauchzeichen, die Nervosität, Verzweiflung, Arroganz, Hilflosigkeit, Sympathie, erotische Botschaften oder Gleichgültigkeit verraten. Ohne den atmosphärischen Zigarettenzauber, der Bogart und Ingrid Bergman umweht, fiele «Casablanca» zu einem Häufchen Kitsch zusammen. Der Film der Filme wird immun bleiben gegen jeden pädagogischen Versuch, die nikotinvergifteten Sequenzen herauszuschnippeln, als das unsterbliche Melodram des «Jahrhunderts der Zigarette», wie es der Harvard-Medizinhistoriker Allan M. Brandt nennt: «Die Zigarette drang in jeden Bereich des American Way of Life, vom Film bis zum Militär, und wurde ein Symbol für Romantik und Entspannung.» Im 20.?Jahrhundert, errechnete Robert N. Proctor von der Stanford-Universität, sind hundert Millionen Menschen an den Folgen des Rauchens gestorben. Jedes Jahr kommen fünf Millionen neue Tote hinzu. Bogart, der auch an der Gin-Flasche hing, starb an einem Kehlkopfkarzinom. John Wayne, dieser rauchende Baumstamm von einem Mann, wurde vom Lungenkrebs gefällt, wie Gary Cooper, Yul Brynner, Steve McQueen. Der drahtige Jean-Paul Belmondo rauchte in Godards «A bout de souffle» noch im wachsamen Halbschlaf und überlebte im Alter einen schweren Hirnschlag. Jean Gabin war ohne den Glimmstängel zwischen den schweigsamen Lippen unvorstellbar. Vor einem Jahr sind all die Gauloises- und Gitanes-Ikonen in den Medien wiederbelebt worden, aus den Katakomben der Jazzklubs und aus der Rauchpatina des «Café de Flore» in Saint-Germain-des-Prés auferstanden sind das Philosophenpaar Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, der Bänkelsänger Boris Vian, die Chansonniers Jacques Brel und Serge Gainsbourg als prominente Kunden der Régie Française, die das schwarze Kraut damals als Staatsmonopolist unter die Leute brachte. Anlass des Gedenkens: Der Altadis-Konzern, Hersteller der urgallischen Marken Gitanes und Gauloises, die ohnehin längst in Spanien produziert werden, wurde von der britischen Imperial Tobacco geschluckt. Es war nur die Vormeldung vom eigentlichen Untergang der französischen cigarette. Seit dem 2. Januar dieses Jahres darf in den Bistros und Bars, in den Brasserien und Restaurants in ganz Frankreich nicht mehr geraucht werden. Im «Flore» sog Sartre an seiner Pfeife, wenn er schrieb und nicht gestört werden wollte; wenn er diskutierte und monologisierte, zündete er sich eine Zigarette an. Die internationale Pariser Bohème und Intelligenzija, die am Montparnasse zwischen «Closerie des Lilas», «Rotonde», «Coupole» und «Sélect» herumzog, die Picasso, Giacometti, Modigliani, Prokofiew, Man Ray, Henry Miller, Anaïs Nin, Hemingway, würde diese kommerzsterilisierten Lokale aus Abscheu nie wieder betreten. Edith Piaf und Jacques Brel pafften auf der Bühne, Nat King Cole behielt sogar beim Singen die Zigarette in der Hand. Er starb, wie Brel, den frühen Rauchertod, aber Frank Sinatra wurde 83 Jahre alt und rauchte bis zuletzt vor dem Mikrofon. Der Operettenstar Johannes Heesters ist heute 104, mit 90 hat er die Zigarette weggeworfen. Carlos Gardel, dem legendären Tangosänger, der 1935 mit dem Flugzeug abstürzte, stecken glühende Verehrerinnen noch heute glimmende Zigaretten zwischen die Finger seines Denkmals in der Nekropolis von Chacarita in Buenos Aires. «Ärzte rauchen Camel» Das Kino etablierte sich als das perfekte Werbemedium für die Zigarette. Alle Stars rauchten: Orson Welles, James Stewart, Gregory Peck, Robert Mitchum, Cary Grant, Paul Newman, John Huston, Marlon Brando, James Dean, Clint Eastwood. In Coppolas Vietnamkriegsfilm «Apocalypse Now» rauchen die US-Soldaten vor dem Hintergrund brennender Dörfer gegen ihre Paranoia an. Die US-Tabakindustrie köderte die Stars mit heimlichen Promotionsverträgen. James Buchanan Duke, Gründer der American Tobacco Company, lancierte mit den automatischen Zigarettenmaschinen die Massenproduktion, und er erfand das Marketing mit den Sammelbildchen von Nationalhelden und offenherzigen Schauspielerinnen. Die Firma Reynolds kreierte 1914 den ersten Markennamen: Camel. 1946 lief eine Werbekampagne mit dem Slogan: «Ärzte rauchen Camel mehr als jede andere Marke.» Die Konkurrenz schickte Camel den Marlboro-Man auf die Fersen. Der kantige Wayne McLaren, der Marlboro-Held der siebziger Jahre, starb mit 51 Jahren an Lungenkrebs, nicht jedoch die Werbefigur. Als Frauen in Nordamerika und Europa noch nicht öffentlich rauchten (bis zum Zweiten Weltkrieg), waren Raucherinnen im Film auf die Rolle der Femme fatale festgelegt, verrucht, lasziv, männerverbrennend wie das historische Vorbild, die sevillanische Tabakarbeiterin Carmen in Bizets Oper: Die Stummfilm-Diva Pola Negri, die Zigarren schmauchende Greta Garbo, die junge Marlene Dietrich im «Blauen Engel», Mae West, Bette Davis, Rita Hayworth. «Smoke Gets in Your Eyes», Jerome Kerns Operetten-Evergreen von 1933, setzte dem Zigarettenflirt ein Denkmal. Die Zigarette – ist es heute obsolet, das zu sagen? – war das wirksamste Mittel der Emanzipation. Ein Neffe Sigmund Freuds hatte die Propagandaidee, die Frauenbewegung zur Osterparade 1929 rauchend auf die Strasse zu schicken, und erklärte die Zigarette zur «Fackel der Freiheit». Als die US-Soldaten im Zweiten Weltkrieg Europa befreiten, nannten auch sie ihre Lucky Strike, Chesterfield und Camel «Fackeln der Freiheit». Mit dem Marshall-Plan zum Wiederaufbau wurde der alte Kontinent von amerikanischen Zigaretten überschwemmt. Frauen rauchten im Film gleichberechtigt, auf der Leinwand herrschte ohnehin eine Art Rauchzwang. In «Fahrstuhl zum Schafott» raucht der Mörder (Maurice Ronet), eingeschlossen im Lift, während die Geliebte und Anstifterin zum Gattenmord (Jeanne Moreau; sie feierte unlängst den 80.Geburtstag) in hektischer Verlorenheit rauchend die nächtlichen Bars nach ihm abklappert. Ridley Scotts Aussteigerfilm «Thelma und Louise» kann man fast nicht ohne Aschenbecher ansehen, so ansteckend hektisch rauchen die beiden Rebellinnen Susan Sarandon und Geena Davis. Die Wahrscheinlichkeit, mit Rauchen anzufangen, ist für Jugendliche zweieinhalb Mal so gross, wenn sie Filme mit rauchenden Stars gesehen haben. Das zeigte 2005 ein Test der Dartmouth Medical School mit 6255 jungen Leuten zwischen 10 und 14 Jahren. Hollywood hat reagiert. Raucher werden häufiger als Verlierer dargestellt. In der Satire «Thank You for Smoking» diskutieren Lobbyisten, wer die meisten Toten verursache: Alkohol, Waffen oder Zigaretten. Aber geraucht wird nur ganz kurz: Im Fernsehen läuft eine Szene mit John Wayne, der sich eine Zigarette anzündet und sofort erschossen wird. Rauchverbot in Mehrfamilienhäusern Versuch, vor dem Einschlafen selber gerauchte Zigarettenmarken zu memorieren, inklusive geschnorrte: Astor («Die Zigarette, die atmet», ein Notfall), Boyard (ein fingerdickes, pergamentumwickeltes Kraut, das stets wieder auslöschte), Brunette, Camel, Celtique, Française, Gauloises, Gitanes, HB («Wer wird denn gleich in die Luft gehen»), Marlboro, Nazionali, Marocaine («Die Cigarette des Sportsmannes»), John Player, Laurens, Roth-Händle, Stella (die erste gekaufte, gekotzt). Und geträumt von Sultan Murad IV., dem Herrscher des Osmanischen Reiches, der 1633 alle Tabakhäuser abreissen liess und das Rauchen unter Todesstrafe stellte. In Russland wurden zu jener Zeit den Rauchern die Lippen aufgeschnitten. Nicht ganz so schlimm ist es im Städtchen Calabasas, eine Autostunde von Hollywood entfernt im Hinterland von Santa Monica, wo früher die Tarzan-Filme gedreht wurden. Der 27000-Seelen-Ort mit einem durchschnittlichen Haushaltseinkommen von 83932 Dollar hat sich für rauchfrei erklärt. Auf Trottoirs und Plätzen, in öffentlichen Gebäuden, Restaurants, Läden, Banken, Sportanlagen ist Rauchen untersagt. Wer sich als Raucher im Freien einem Nichtraucher auf 20 Fuss (rund 6 Meter) nähert, bricht das Gesetz. Calabasas verhängte bereits totales Rauchverbot in Mehrfamilienhäusern. Erlaubt ist, trotz des Namens, das Tragen des Smokings, des Kleidungsstücks, das einst in Londoner Klubs Mode wurde als Schutzüberzug des rücksichtsvoll rauchenden Gentleman gegen Asche und Rauchgestank.

retour