Rennräder im Wandel der Zeit
Moderne Materialien statt Stahl als Rahmenwerkstoff «en vogue»

map. Grenoble, 18. Juli  (Aus NZZ) (kleine Fehler wegen OCR möglich)

Früher sei alles einfacher gewesen, sagt Georges Probst, langjähriger Mitarbeiter des neutralen Materialdienstes an der Tour de France. Zusammen mit zahlreichen weiteren Mechanikern sichert der Lausanner den Nachschubweg von Er satzmaterial, wenn ein Fahrer eine Panne erleidet und gerade kein Mannschaftswagen in der Nähe ist. Keine leichte Aufgabe, denn das Material hat sich in den vergangenen 15 Jahren stark gewandelt. Kamen früher vor allem Stahlrahmen zum Einsatz, an denen die Komponenten (Schaltung Bremsen, Naben) des italienischen Herstellers Campagnolo montiert waren, dominieren heute deutlich leichtere Werkstoffe wie Karbon, Aluminium und Titanium im Tour-Peloton. Campagnolo hat mit Shimano eine starke Konkurrenz erhalten - die Japaner haben sich mittlerweile sogar als Marktleader für Fahrradkomponenten etabliert.
  Das stellt den neutralen Materialdienst der Tour vor Probleme, denn je nach verwendeten Rahmen und Komponentenmarke passen die mit geführten Ersatzräder nicht. Campagnolo (u. a. Ausrüster von Telekom, Domo, Cofidis, Banesto Festina, Once und Lampre) beispielsweise bestückt die Hinterräder bereits mit einer Kassette für zehn Gänge, während Shimano (u. a. US Postal, Mapei, Rabobank, Lotto, Bonjour) noch immer Freiläufe mit Neunfach-Übersetzung verwendet. Dazu kommen unterschiedlich dicke Ausfall-Enden für die Radaufnahme, die einen schnellen Wechsel des Rades verunmöglichen, da der Exzenter des Schnellspanners, der das Rad im Rahmen hält, die richtige Vorspannung aufweisen muss. Damit er sicher klemmt, ist eine zeitraubende Justierung nötig, die während der hektischen Radwechsel bei den Fahrern verhasst ist. Unterschiedliche Radgrössen (erlaubt sind 26 oder 28 Zoll Durchmesser, wobei beide Räder gleich gross sein müssen) komplettieren das Worst-Case-Szenario. «Es ist deshalb wichtig zu wissen, welchem Fahrer man gerade folgt. Sonst kann man die Panne unter Umständen nicht beheben», erklärt Probst.
  Auch wenn die Ingenieure wegen der rigiden Reglementierung des Radweltverbandes (UCI) in den letzten Jahren gezwungen waren, sich bei der Rahmenform an den Wurzeln des Fahrrads zu orientieren (Diamant-Form, mit klar erkenn barem vorderem und hinterem Rahmendreieck), bleibt den Herstellern genügend Raum für neue Entwicklungen. Generell kann aber festgestellt werden, dass unter den Teams keine eklatanten Unterschiede bezüglich Material bestehen, auch wenn sich Spitzenfahrer wie Lance Armstrong und Jan Ullrich über die eine oder andere (kleine) materialtechnische Spezialität freuen können. So verwendet beispielsweise Armstrong in den Bergetappen Räder des deutschen Karbon-Spezialisten Heydenreich, bei denen neben den Felgen auch die Speichen und Naben aus dem hoch festen Kohlenstoff bestehen.
  Fast sämtliche Mannschaften verwenden heute Karbon- oder Aluminiumrahmen. Der Grund liegt auf der Hand: Im Vergleich zu Stahl weist Aluminium ein dreimal kleineres spezifisches Ge wicht auf. Die geringere Festigkeit wird mit grösseren Rohrdurchmessern und -profilierungen mehr als wettgemacht. Noch günstiger ist das Gewicht-Steifigkeit-Verhältnis von Karbonfasern, die in Monocoque-Bauweise mit Wabenstrukturen auch in der Formel I die Sicherheit der Fahrer gewährleisten sollen. Fahrradrahmen in dieser Bauweise des amerikanischen Herstellers Trek verwendet das US-Postal-Team mit Leader Armstrong, während von den meisten anderen Mannschaften Rahmen aus Karbonrohren eingesetzt werden, die, wie früher bei den Stahlskeletten mittels Muffen miteinander verbunden sind.
  Die Velos sämtlicher Teams wiegen zwischen sieben und acht Kilos, je nach Einsatzzweck. Die leichten Bergräder sind jedoch selten unter sieben Kilo, denn die UCI hat die untere Gewichts grenze auf 6,8 kg limitiert, mit der Begründung der Chancengleichheit. Das dürfte nicht der ein zige Grund gewesen sein: Leichtbau ist nicht nur sündhaft teuer, sondern birgt auch Gefahren beim Ausloten der mechanischen Grenzen von Bauteilen und Material.
  Konservativ zeigen sich die Mannschaften da gegen bei der Wahl der Reifen. Zahlreiche Teams fahren noch immer auf Schlauchreifen, so auch Telekom und US Postal, während sich beim kommunen Rennfahrer längst Pneuräder durch gesetzt haben. Mit gutem Grund: Pneureifen sind wirtschaftlicher (bei einem kleinen Defekt muss lediglich der Schlauch ersetzt werden, während der Colle heute nicht mehr repariert werden kann) und für den Normalverbraucher sicherer. Während sich beim ständigen Bremsen bergab die Felge stark erwärmt und der Colle deshalb von der Felge rutschen kann, besteht bei den Pneurädern diese Gefahr nicht. Bei den Professionals stellt sich dieses Problem nicht. Da zählen der Abrollkomfort und die Sicherheit bei einem Platten. Ist beim Colle nämlich die Luft weg klebt er noch immer an der Felge, und das Velo bleibt lenkbar. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil bei Tempi von bis zu 100 km/h in den Abfahrten.

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